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Elisabeth Schmitz – Wie sich die Protestantin für Juden einsetzte, als ihre Kirche schwieg

(Quelle ist das gleichnamige Buch von Sibylle Biermann-Rau)

Die Denkschrift „Zur Lage der deutschen Nichtarier“ aus dem Jahr 1935/36 gilt heute als der bedeutendste Text, der auf evangelischer Seite zur Lage der verfolgten Juden im Dritten Reich geschrieben wurde.[1] Damit wollte Elisabeth Schmitz (1893-1977) „ihre“ Bekennende Kirche zum Widerstand gegen die Judenpolitik im „Dritten Reich“ aufrütteln. Jahrzehntelang war nicht bekannt, dass sie die Verfasserin war, denn der anonyme Text war nach 1945 zunächst einer anderen zugeschrieben worden.[2] Erst 1999, viele Jahre nach Schmitz’ Tod, konnte ihre ehemalige Schülerin und spätere Freundin, Pfarrerin i.R. Dietgard Meyer, die Verfasserschaft nachweisen und publizieren.[3] Seitdem ist zunehmend die Rede von Elisabeth Schmitz, die nicht zuletzt auch durch die Veröffentlichungen des Berliner Historikers Manfred Gailus bekannter geworden ist.

I. Vor 1933: Kindheit und Jugend in Hanau, Studieren und Unterrichten in Berlin

Elisabeth Schmitz wird 1893 in Hanau/Main geboren und wächst in einem bildungsbürgerlichen und kirchenverbundenen Milieu auf. Ab 1914 studiert sie Deutsch, Geschichte und Religion in Bonn und dann vor allem in Berlin. Die zwei renommierten Professoren Adolf von Harnack (liberaler Theologe und Kirchenhistoriker) und Friedrich Meinecke (Historiker, bei dem Schmitz 1920 promoviert) werden ihre wichtigsten Lehrer. Sie gehört dem jeweiligen Kreis ihrer Eliteschüler an, ist ihnen und ihren Familien auch persönlich verbunden und mit der Harnack-Tochter Elisabet befreundet. Dadurch gewinnt sie Anschluss an das „kulturprotestantische Bildungsbürgertum Berlins“.[4]

Nach dem 1. Staatsexamen absolviert Schmitz parallel zu ihrem schulischen Vorbereitungsdienst noch ein mehrjähriges Ergänzungsstudium an der Theologischen Fakultät. Erst sechs Jahre nach dem 2. Staatsexamen kommt sie 1929 als fest angestellte Studienrätin an das Luisen-Oberlyzeum in der Ziegelstraße 12 in der Spandauer Vorstadt (heute Berlin-Mitte). An dieser renommierten Schule mit einer sozialdemokratisch gesinnten Direktorin und gleichgesinnten Kolleginnen ist Schmitz „zu Hause“.[5] Schmitz bleibt unverheiratet, lebt aber in einem Freundes- und Bekanntenkreis, zu dem auch einige Juden und Judenchristen gehören.

II. Die Reaktion von Elisabeth Schmitz auf das „Dritte Reich“ und die Judenverfolgung

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten erkennt sie sogleich deren Un-Geist und gerät in Konflikt mit dem neuen Schuldirektor, was 1935 zur Versetzung an eine Schule in Berlin-Lankwitz führt. Ihre damalige Schülerin Dietgard Meyer erinnert sich: „[…] Abneigung oder Zuneigung erzeugte sie bei uns durch ihre erkennbare Ablehnung des Nationalsozialismus. Die zeigte sich schon bei ihrem Hineinkommen ins Klassenzimmer mit ihrem Hitlergruß. Der kam nicht forsch und mit stramm erhobenem Arm wie bei anderen Lehrern. Nein, sie machte nur eine verhuschte Handbewegung und ihr verhauchter Gruß war kaum vernehmbar.“[6]

Schmitz lebt in einem Netzwerk von Gleichgesinnten:[7] Sie steht in enger Verbindung zu einzelnen Pfarrern der Bekennenden Kirche, deren Mitglied sie 1934 wird, und wählt genau aus, zu welcher Gemeinde sie gehören will. Auch nimmt sie teil an den Bibel -und Vortragsabenden zu kulturellen Themen im Charlottenburger Kreis um Anna von Gierke.

So viel zum Hintergrund für Schmitz’ Reaktionen auf die Judenverfolgung, die sich im Dritten Reich in vier Phasen gesteigert hat.

1. Phase: Ausgrenzung der Juden ab 1933 – Briefe an Karl Barth

Aufgrund der Gesetze vom April 1933, die „Nichtarier“ ausgrenzt, verliert auch Schmitz’ Freundin und Hausgenossin Dr. Martha Kassel ihre Praxis als Ärztin und ihre Existenzgrundlage. Schmitz nimmt sie für mehr als vier Jahre in ihre gerade bezogene Drei-Zimmer-Wohnung in der Luisenstraße auf und erlebt so unmittelbar, was mit den Juden geschieht, auch dann, wenn sie getauft sind.

Um kirchenpolitisch wirken zu können, muss Schmitz Verbündete finden unter den Kirchenmännern. Von Karl Barth, dem Bonner Professor schweizerischer und reformierter Herkunft, erhofft sie sich Unterstützung. So entsteht 1933/1934 ein intensiver Briefwechsel, der vollständig erstmalig 2009 von Dietgard Meyer veröffentlicht wird.

Bereits in ihrem ersten Brief an Barth vom Ostermontag 1933 spricht sie von den „Folgen der Judenverfolgung“. Schmitz kritisiert: „Aber die Kirche feiert Siegesfeste, feiert Ostern in der Siegesstimmung, die augenblicklich durch unser deutsches Volk geht […] Jedenfalls sind die lahmen, über u. über in Watte gepackten Äußerungen der evang. Kirchenbehörden nur dazu angetan, einen völlig verzweifeln zu lassen. […] Hätte die Kirche denn nicht wenigstens die elementare Pflicht, sich um ihre eigenen verfolgten Glieder zu kümmern? Und trägt sie nicht die Verantwortung andererseits für die Glieder, von denen all der Hass ausgeht?“

Und an Barth gerichtet: „Meine Frage […] geht dahin, ob nicht Sie als der Theologe, dessen Stimme in Deutschland am meisten gehört wird […] ob nicht Sie etwas dazu tun könnten, dass die Gewissen wach werden und erschrecken. Ich weiß nicht, ob es klug ist, im Augenblick an die breite Öffentlichkeit zu treten. Aber vielleicht wäre es möglich, wenigstens für die theologische Welt etwas zu sagen“.[8]

Barth reagiert zurückhaltend.[9] In ihrem Brief vom Neujahrstag 1934 hat Elisabeth Schmitz bereits das ganze Ausmaß der Judenverfolgung im Blick: „Sollten die Gesetze, wie sie heute sind, längere Zeit bestehen bleiben, so würde das das glatte Todesurteil bedeuten für Hunderttausende von Menschen, vielleicht für Millionen“. Schmitz ist kritisch, nicht nur gegenüber den Deutschen Christen (DC), die mit den Nationalsozialisten sympathisieren und die Einführung des „Arierparagraphen“ auch in der evangelischen Kirche fordern. Sie äußert sich auch zur gerade entstehenden Bekennenden Kirche (BK), die sich als Opposition zu den „Deutschen Christen“ versteht und den Arierparagraphen (nur) in der Kirche ablehnt: „Solang die sogenannte Opposition nur immer Bücklinge vor dem Staat macht, wird es nicht anders […] Und wieso verstehen auf einmal so viele Theologen von Biologie u. Rassekunde mehr als alle Anthropologen? Die meisten Oppositionellen sind doch nur etwas zahmere deutsche Christen. […] Wo hätte man ein Trostwort der Kirche an ihre verfolgten Glieder gehört, geschweige denn ein mitfühlendes Gedenken an die verfolgten – von Christen verfolgten – überhaupt? Was die Kirche am nötigsten braucht, ist weder ein neues Bekenntnis, noch die Verfassung, noch theologische Auseinandersetzungen über Volk u. Rasse, sondern die ganz einfache, schlichte, selbstverständliche christliche Liebe. Auf keinem Gebiet hat die Kirche u. die deutsche Christenheit so rettungslos versagt wie auf diesem“.[10]

Nur wenige Monate später wird im Mai 1934 die Barmer Theologische Erklärung verabschiedet – dieses Gründungsbekenntnis der BK enthält keinen Protest gegen die Irrlehre des Antisemitismus.

Die Bekennende Kirche engagiert sich wohl für die evangelisch getauften Juden, die ja ihre Kirchenmitglieder sind und gerät dadurch auch in Konflikte mit dem Staat – es ist von mindestens 100.000 evangelischen „Nichtariern“ im Deutschen Reich auszugehen.[11] Dagegen geht es Schmitz wie dem seinerzeit 27-jährigen Dietrich Bonhoeffer um die Solidarität mit allen Juden, mehr als eine halbe Million im Deutschen Reich.

2. Phase: Entrechtung der Juden ab 1935 – eine Denkschrift für die Bekennende Kirche

Wenige Tage nach Erlass der „Nürnberger Rassegesetze“ findet Ende September 1935 in Berlin-Steglitz eine Synode der Bekennenden Kirche aus dem großen Gebiet der „Altpreußischen Union“ statt. Meyer geht davon aus, dass die rund 20seitige Denkschrift „Zur Lage der deutschen Nichtarier“, die Schmitz zuvor übergeben hatte, zumindest einigen Synodalen im Vorbereitungskreis vorgelegen hat.[12]

Einleitend bezeichnet Schmitz die staatliche Ariergesetzgebung als Verletzung der Gebote Gottes und widerspricht damit der gängigen Auffassung, die die gesetzlichen Regelungen dem Staat überlässt, ohne sich zu widersetzen. Mit einer Vielzahl von Beispielen, die Schmitz auch kommentiert, gibt sie Einblick in die Lage der Juden, in die innere und äußere Not, angefangen von der Aufhetzung der öffentlichen Meinung bis hin zu den existentiellen Bedrohungen. Und dann folgt der unmissverständliche Satz: „Die Beispiele genügen um zu zeigen, dass es keine Übertreibung ist, wenn von dem Versuch der Ausrottung des Judentums in Deutschland gesprochen wird“. Und: „Was sollen wir antworten einst auf die Frage: Wo ist dein Bruder Abel? Es wird auch uns, auch der Bekennenden Kirche keine andere Antwort übrigbleiben als die Kainsantwort.

Schließlich geht es um die Stellung der Kirche zur Diskriminierung der Juden: „Was soll man antworten auf all die verzweifelten, bitteren Fragen und Anklagen: Warum tut die Kirche nichts? Warum lässt sie das namenlose Unrecht geschehen? Wie kann sie immer wieder freudige Bekenntnisse zum national-sozialistischen Staat ablegen, die doch politische Bekenntnisse sind und sich gegen das Leben eines Teiles ihrer eigenen Glieder richten? Warum schützt sie nicht wenigstens die Kinder […]? Warum betet sie nicht für die, die dies unverschuldete Leid und die Verfolgung trifft?“

Schmitz spricht auch offen von der Täterschaft der Christen: „Menschlich geredet bleibt die Schuld, dass alles dies geschehen konnte vor den Augen der Christen, für alle Zeiten und vor allen Völkern und nicht zuletzt vor den eigenen künftigen Generationen auf den Christen Deutschlands liegen. Sie kritisiert auch „ihre“ Bekennende Kirche: „Dass es aber in der Bek. Kirche Menschen geben kann, die zu glauben wagen, sie seien berechtigt oder gar aufgerufen, dem Judentum in dem heutigen historischen Geschehen und dem von uns verschuldeten Leiden Gericht und Gnade Gottes zu verkündigen, ist eine Tatsache, angesichts deren uns eine kalte Angst ergreift. Seit wann hat der Übeltäter das Recht, seine Übeltat als den Willen Gottes auszugeben? Seit wann ist es etwas Anderes als Gotteslästerung, zu behaupten, es sei der Wille Gottes, dass wir Unrecht tun?“

Schmitz hat die Denkschrift eigenhändig in 200 Exemplaren abgezogen, was gefährlich war, und diese unterschriftslosen Exemplare vielen Leitungsgruppen der BK in ganz Deutschland und einigen einflussreichen Einzelpersönlichkeiten der BK zugestellt, auch Bonhoeffer und Barth, den Schmitz mehrmals noch vor dem Krieg in Basel besuchte, besaßen ein Exemplar.[13] Rückblickend schreibt sie: „Ich wollte mit dieser Schrift aufklären über die Lage der Nichtarier, die damals (1935/36) weitgehend unbekannt war, und dadurch die BK rufen zu ihrem Amt und zum Widerstand gegen die antichristlichen Maßnahmen des Staates“.[14]

3. Phase: Die Reichspogromnacht 1938 – persönliche Konsequenzen

Elisabeth Schmitz erscheint am 10. November nicht mehr in der Schule und stellt den Antrag auf Frühpensionierung: „Ich beschloss, den Schuldienst aufzugeben und nicht länger Beamtin einer Regierung zu sein, die die Synagogen anstecken lässt.“[15]

Nachdem Schmitz den Bußtagsgottesdienst im Gemeindesaal in Dahlem besucht hat, schreibt sie am 24. November an Helmut Gollwitzer: „[…] Es lässt sich wohl nicht mehr sagen als dies: dass man erfüllt war von dem Gefühl: So, und nur so kann und darf nach dem, was geschehen ist, eine christliche Gemeinde in Deutschland zusammen sein. […] Und nun? Es scheint, dass die Kirche auch dieses Mal, wo ja nun wirklich die Steine schreien, es der Einsicht und dem Mut des einzelnen Pfarrers überlässt, ob er etwas sagen will, und was. Aber was m. E. nun überall kommen muss, ist die Fürbitte. […] Wo sollen denn nun die Gemeinden Gottesdienst halten in dieser Notzeit?“ Sie fordert, „dass die Kirche in jedem Fall strikt als Kirche handelt, ohne rechts und links zu sehen, ohne Taktik, ohne zu fragen: was wird daraus, allein nach ihrem Wesen und Auftrag, dass sie sich selbst ganz ernst nimmt.“ Schließlich: „Wir haben die Vernichtung des Eigentums erlebt, zu diesem Zweck hatte man im Sommer die Geschäfte bezeichnet. Geht man dazu über, Menschen zu bezeichnen, so liegt ein Schluss nahe, den ich nicht weiter präzisieren möchte. […] Ich bin überzeugt, dass – sollte es dahin kommen – mit den letzten Juden auch das Christentum aus Deutschland verschwindet. Das kann ich nicht beweisen, aber ich glaube es“.[16]

Schmitz engagiert sich nun ehrenamtlich in der Friedenauer Bekenntnisgemeinde um Pfarrer Jannasch. Neben Bibelarbeiten und Besuchsdienst gibt sie Taufunterricht für Juden, eine riskante Aktion.[17] Sie nimmt zeitweilig nicht nur in ihrer Wohnung in der Nähe der Charité untergetauchte Personen jüdischer Herkunft auf, sondern auch in dem ca. 30 Kilometer nördlich davon gelegenen Wandlitzer Gartenhaus „Pusto“, das sie Ende 1938 von dem jüdischen Arzt Max Seefeld erworben hatte – er hatte ihre langjährige Wohngenossin geheiratet und stand mit ihr kurz vor der Emigration.

4. Phase: Die Vernichtung der Juden ab 1941 – Hilfe für Verfolgte

Schmitz hat weiterhin Kontakt zu „nichtarischen“ Menschen und engagiert sich persönlich für die Verfolgten. Die in Schmitz’ Wohnung untergetauchte Lilo Pereles erzählt: „Als im Nov. 43 die Wohnung von Frl. Dr. Schmitz durch Bomben zerstört wurde, hatte sie mir weiter geholfen und zwar oft mit Geld und Lebensmittelmarken. Es ist mir bekannt, dass Frl. Dr. Schmitz noch anderen jüdischen Menschen in gleicher Weise wie mir geholfen hat […] [Sie] hat uns Flüchtlingen auch oft durch ihre Haltung geholfen, den Glauben an eine bessere Zukunft nicht zu verlieren“.[18]

Bereits auf August 1943 datiert Schmitz ihren Wegzug und wohnt nun nach rund 30 Jahren wieder in ihrem elterlichen Haus in Hanau, zusammen mit ihrer älteren Schwester. Mit drei ehemaligen Berliner Schülerinnen bleibt Schmitz in freundschaftlichem Kontakt, ja, sie bezeichnet sie gelegentlich als ihre „Töchter“, namentlich die Theologin Dr. Renate Ludwig, die als „nichtarisch“ galt, Lydia Forsström und die Theologin Dietgard Meyer, die im „Dritten Reich“ wegen der jüdischen Abstammung ihres Vaters Belastungen ausgesetzt war.[19]

III. Nach 1945: Studienrätin und Ruhestand in Hanau

Ab Ostern 1946 unterrichtet Schmitz am Hanauer Realgymnasium für Mädchen (später Karl-Rehbein-Schule). Dass sie sich mit der NS-Zeit beschäftigt, zeigen ihre Ansprachen, die sie in schulischem Rahmen hält. In der Gedenkrede vom 7. September 1950 begründet sie angesichts von „Schlussstrich“-Forderungen ausführlich, warum wir das Geschehene nicht vergessen dürfen. Als Ursache der Verirrung sieht sie: „Wir haben den Menschen nicht mehr gesehen, am allerwenigsten im Juden“. […] Und sie fordert deshalb nachdrücklich: Seht den Menschen! Sagt nicht immer: Die Franzosen, die Polen, die Juden, die Arbeiter, die Kapitalisten. Lernt den Menschen kennen, den Einzelnen, auch den Fremden, ehrt ihn darin, dass ihr freundlich zu ihm seid, auch den Schwachen und Verachteten gegenüber.“[20]

Im Alter von 65 Jahren geht Schmitz 1958 in den Ruhestand und engagiert sich verstärkt im traditionsreichen Hanauer Geschichtsverein. Sie stirbt am 10. September 1977 nach kurzer Krankheit im Alter von 84 Jahren. Die Beerdigung fand in aller Stille statt.[21]

IV. Schluss: Vom Verschweigen zur Würdigung

Sind Schmitz’ kirchenkritische Worte auch noch nach 1945 unbequem, weil sie das Bild der Bekennenden Kirche und ihrer Vertreter hätte trüben können? Warum hat sie sich selbst nach 1945 nicht als Verfasserin dieser Denkschrift offenbart? Meyer gibt zu bedenken: „War Elisabeth Schmitz erneut enttäuscht über das auch nach 1945 andauernde Desinteresse der Kirche am Schicksal der Verfolgten? Hatte sie einfach nicht mehr die psychische Kraft, die für sie so belastende Zeit durch historische Richtigstellungen wieder aufleben zu lassen? Oder hielt sie ihr Handeln für so selbstverständlich, dass sie auf einen Einspruch in eigener Sache verzichtete?“[22]

Erst seit 1999 erfährt das Leben und Wirken von Elisabeth Schmitz langsam angemessene Würdigung. Am 11. November 2011 wird Elisabeth Schmitz von der Jerusalemer Holocaust-Gedenkstätte Yad Vaschem posthum als „Gerechte unter den Völkern“ ausgezeichnet, weil sie „jüdischen Menschen während des Holocaust “unter Gefährdung ihres Lebens“ geholfen hat.[23] Ein Gedenken an zentraler Stelle in Berlin steht noch aus.

(Auf folgende Internetseiten sei noch hingewiesen:  

-www.frauen-und-reformation.de

-evangelischer-widerstand.de                              

-Auszüge aus der Denkschrift Elisabeth Schmitz 1935/36: www.imdialog.org/md2000/04md0600.html)


[1] Meyer, Dietgard: Elisabeth Schmitz: Die Denkschrift zur Lage der deutschen Nichtarier, in: Erhart, Hannelore / Meseberg-Haubold,Ilse / Meyer, Dietgard: Katharina Staritz 1903-1954. Mit einem Exkurs Elisabeth Schmitz. Dokumentation Band I, Neukirchen 1999, (abgekürzt: Meyer, Exkurs) In diesem Exkurs wird die Denkschrift zum ersten Mal unter dem Namen Elisabeth Schmitz veröffentlicht, dazu mit einem umfangreichen Anmerkungsapparat und einer biographischen Einleitung versehen.

[2] 1948 wird die Denkschrift von Wilhelm Niemöller zum ersten Mal erwähnt und der Berliner Wohlfahrtspflegerin Marga Meusel (1897-1953) zugeschrieben, vgl. Meyer, Exkurs, 190 mit Anm. 14+15. Marga Meusel hatte kurz vor der Augsburger Synode der Bekennenden Kirche im Juni 1935 die „Denkschrift über die Aufgaben der Bekennenden Kirche an den evangelischen Nichtariern“ verfasst. Darin wendet sie sich gegen die Ausgrenzung der zum Christentum konvertierten Juden innerhalb der Kirche, warnt aber ausdrücklich vor einer Oppositionshaltung der Kirche gegenüber dem Staat. Allerdings wird diese Denkschrift auf der Synode im Juni 1935 weder beraten noch beschlossen, sie wird den Synodalen vermutlich nicht einmal vorgelegt. vgl. Ludwig in: Gailus, Manfred (Hg.): Elisabeth Schmitz und ihre Denkschrift gegen die Judenverfolgung. Konturen einer vergessenen Biografie (1893-1977), Berlin 2008 (abgekürzt: Gailus, Schmitz), 116f.

[3] Dietgard Meyer stieß auf ein Gesuch von Elisabeth Schmitz aus dem Jahr 1947, in dem diese um Wiederaufnahme in den höheren Schuldienst bat und ausdrücklich auf ihre Denkschrift in der Anlage verweist, um ihre kritische Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus zu beweisen, vgl. Meyer, Exkurs, 188f und 218, Anm. 19. Nachdem aber der Hanauer Kirchenvorstand Gerhard Lüdecke 2004 zufällig in seinem Kirchenkeller eine eingestaubte Schultasche mit einem Zettel „Nachlass Dr. Elisabeth Schmitz“ fand und darin einen größeren Briefumschlag mit dem Hinweis „Zu meiner Denkschrift“, wird das fälschlicherweise oft als „Entdeckung“ oder Beweis für die Urheberschaft von Schmitz gewertet, vgl. Meseberg-Haubold, Ilse: Buchbesprechung zu Manfred Gailus „Mir aber zerriss es das Herz“. In: KZG 23/2010, Heft 2, 607, Anm. 8.

[4] Vgl. Meseberg-Haubold, a.a.O., 609; vgl. Meyer, Mutter, in: Gailus, Schmitz, 12; zu Harnack/Meinecke vgl. Gailus, Historismus, in: Gailus, Schmitz, 40ff; vgl. Bauer in: Gailus, Manfred / Vollnhals, Clemens (Hg.): Mit Herz und Verstand – Protestantische Frauen im Widerstand gegen die NS-Rassepolitik, Göttingen 2013, 21ff. Das „Kulturprotestantische Bildungsbürgertum“ ist gekennzeichnet durch eine distanzierte Haltung zur traditionsverhafteten und obrigkeitshörigen preußischen Kirche, durch einen religiösen Individualismus und die Betonung der Ethik (vgl. ebd., 14).

[5] Vgl. Meyer, Exkurs, 208, und Hensel in: Gailus, Schmitz, 59.

[6] Meyer, Mutter, in: Gailus, Schmitz, 13.

[7] Pfarrer Jacobi (Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Charlottenburg), später Pfarrer Gollwitzer (Dahlem), schließlich Pfarrer Jannasch (Friedenau), vgl. Gailus, Manfred: Mir aber zerriss es das Herz. Der stille Widerstand der Elisabeth Schmitz, Göttingen 2010 (abgekürzt: Gailus, Biografie), 129ff und Meyer, Exkurs, 211f und Voigt in: Gailus/Vollnhals, a.a.O., 119f; Mitgliedskarte der BK ist datiert vom 18.9.1934, vgl. Meyer, Exkurs, 211, Anm. 108.

[8] Brief E.S. an K.B. vom 18.4.1933 zit. nach Meyer, Dietgard: Wir haben keine Zeit zu warten. Der Briefwechsel zwischen Elisabeth Schmitz und Karl Barth in den Jahren 1934-1966 (Druckfehler in der Überschrift: der Briefwechsel beginnt bereits 1933!), in: KZG 22, Heft I, 2009, (abgekürzt: Meyer, Briefwechsel), 332f. Während der nationalsozialistischen Zeit sind es zehn Briefe von Elisabeth Schmitz und zwei von Karl Barth, die erstmals vollständig 2009 von Meyer veröffentlicht wurden.

[9] Brief K.B. an E.S. vom 2.5.1933, zit. nach ebd., 334f.

[10] Brief E.S. an K.B. vom 1.1.1934, zit. nach ebd., 337-342.

[11] Vgl. Biermann-Rau, Sibylle: An Luthers Geburtstag brannten die Synagogen – eine Anfrage, Stuttgart ²2014, 126; Eberhard Röhm schätzt 300.000 evangelische Nichtarier, laut Evang. Gemeindeblatt für Württemberg 38/2015.

[12] Vgl. Meyer, Exkurs, 187, Anm. 4: Dritte Bekenntnissynode der BK-APU vom 23.-26.9.1935 in Berlin-Steglitz – dass Schmitz die Denkschrift zu einem Pfarrer getragen hat, geht hervor aus dem Brief an Schwester und Vater vom 10.9.1935, zit. nach Meyer, Exkurs, Dok. 55, 217; Schmitz selbst hat vor 1945 für ihre Denkschrift Bezeichnungen wie „meine Sache“ usw. gewählt und spricht nur ein einziges Mal im Brief an den Vater vom 19.9.1936 von der „Denkschrift“, vgl. ebd., 188f. Die Denkschrift wird im Folgenden zitiert nach ebd., Dok. 56, 218-261.

[13] Vgl. Meyer, Exkurs, Gesuch um Versetzung in den Ruhestand vom 31.12.1938. Dok. 61, 264-267; zu Bonhoeffer vgl. Bethge, Eberhard: Dietrich Bonhoeffer. Eine Biographie, 4. Aufl., München 1978, 558, dort auch noch Marga Meusel zugeordnet; zu Barth: Brief E.S. an Vater vom 19.9.1936, zit. nach Meyer, Exkurs, 190 u. Anm. 11-13; vgl. Pangritz, in: Gailus, Schmitz, 176 u. Anm. 46.

[14] Meyer, Exkurs, Dok. 61, 266.

[15] Ebd.

[16] Brief E.S. an Gollwitzer vom 24.11.1938, zit. nach Schäberle-Königs, Gerhard: Und sie waren täglich einmütig beieinander. Der Weg der Bekennenden Gemeinde Berlin/Dahlem 1937-1943 mit Helmut Gollwitzer, Gütersloh 1990, 203ff.

[17] Wilhelm Jannasch, Bescheinigung zum Begleitbrief vom 12.4.1947, zit. nach Meyer, Exkurs, 212; vgl. ebd. 21f; zur BK-Gemeinde um Jannasch vgl. Gailus, Biografie, 131ff.

[18] Liselotte Pereles: Erklärung vom 10.2.1947, zit. nach Meyer, Exkurs, Dok. 59, 263.

[19] Zu Renate Ludwig vgl. Hildebrand, Christel, Art. Dr. Renate Ludwig, in: Erhart, Hannelore (Hg.): Lexikon früher evangelischer Theologinnen. Biographische Skizzen, Neukirchen 2005, 246. Zu Lydia Forsström vgl. Gailus, Biografie, 144f; 147-149 u. 291, Anm. 87; Mit. an Verf.; Forsström hat laut Meyer nicht Theologie in Heidelberg studiert, sondern mit ihr Theologie-Vorlesungen besucht und war interessiert an theologischen Fragen; zu Dietgard Meyer: Mit. an Verf., und vgl. Ludwig, Hartmut / Röhm, Eberhard (Hg.): Art. Dietgard Meyer, in: Evangelisch getauft – als „Juden“ verfolgt, Stuttgart 2014, 246f.

[20] Zit. nach Gailus, Biografie, dort auch vollständig abgedruckt, 256-262, 305, Anm. 40; Gailus-Kommentar vgl. ebd. 158.

[21] Vgl. Gailus, Biografie, 173f; Text der Todesanzeige ebd. 298, Anm. 1; vgl. Meseberg-Haubold ,a.a.O., 616, Anm. 28. Dass nur 7-8 Personen an der Trauerfeier teilgenommen haben, bedeutet also nicht, dass Schmitz isoliert und von der Umwelt vergessen war.

[22] Zit. nach Meyer Exkurs, 212.

[23] epd-Wochenspiegel, Ausgabe West Nr. 47-2011, 20; der Antrag war vom Hanauer Geschichtsverein in Verbindung mit dem Hanauer Oberbürgermeister Claus Kaminsky gestellt worden, vgl. Gailus, Protestantin in Gailus/Vollnhals, a.a.O., 82, Anm. 6.