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Elisabeth Schmitz (1893-1977) – solidarisch mit den Juden, kritisch mit ihrer Kirche
(mit Lesetexten 1-5 im Anhang)
(Lit: Sibylle Biermann-Rau, Elisabeth Schmitz, Wie sich die Protestantin für Juden einsetzte, als ihre Kirche schwieg, Hamburg 2017, 144 Seiten)
A Kurzbiografie:
Elisabeth Schmitz wird 1893 in Hanau geboren. Ihr Vater, ein Gymnasialprofessor, fördert die Ausbildung seiner jüngsten Tochter. Sie studiert Geschichte, Deutsch und Religion – ab 1915 in Berlin – und gehört dort vermutlich als erste Frau zu einem Kreis von Elitestudenten um den liberalen Kirchenhistoriker Adolf von Harnack. Dessen Familie ist sie auch persönlich verbunden und sie gewinnt so Anschluss an den sogenannten Kulturprotestantismus, der in Distanz zur traditionsverhafteten und obrigkeitshörigen preußischen Kirche steht. Die promovierte Historikerin absolviert parallel zu ihrem Schuldienst an verschiedenen Berliner Schulen noch ein mehrjähriges Vertiefungsstudium in Theologie. Bis 1931 hat Schmitz 16 Jahre lang in einer jüdisch geprägten Umgebung gewohnt, im Wohnheim für alleinstehende Damen in der Auguststraße 82 (heute Hotel Augustinenhof) unweit der Großen Synagoge in der Oranienburger Straße. Im „Dritten Reich“ schließt sich Schmitz 1934 der Bekennenden Kirche an, einer – bald in verschiedene Flügel gespaltenen – Gegenbewegung zu den stark nationalsozialistisch geprägten „Deutschen Christen“ innerhalb der protestantischen Kirche. Sie wählt genau aus, zu welcher Berliner BK-Gemeinde sie gehören will. Schmitz bleibt unverheiratet, was damals allerdings auch eine Voraussetzung für eine berufstätige Akademikerin war.
Aber sie lebt mit zahlreichen Kontakten in einem Kreis von Freundinnen, Kolleginnen und Bekannten, darunter einigen mit jüdischer Herkunft, und ist sie ist gut vernetzt mit Gleichgesinnten. Nach der Evakuierung aus Berlin kehrt sie 1943 nach fast 30 Jahren nach Hanau zurück und lebt wieder im elterlichen Haus zusammen mit ihrer ältesten Schwester. Von 1946 an ist sie wieder im Schuldienst tätig. Nach der Pensionierung 1958 engagiert sie sich verstärkt im Hanauer Geschichtsverein.
All die Jahre hat sie Kontakte zu den ehemaligen Berliner FreundInnen, auch denen im Exil, gepflegt und drei ihrer ehemaligen Schülerinnen, darunter Dietgard Meyer, konnte sie gelegentlich auch als ihre Töchter bezeichnen. Sie stirbt 1977 im Alter von 84 Jahren.
Einen kleinen Eindruck von ihrer Persönlichkeit vermittelt die Erinnerung von Dietgard Meyer an ihre Lehrerin, die seit 1935 an der Auguste-Sprengel-Schule in Berlin-Lankwitz unterrichtet. Dorthin ist Schmitz versetzt worden, nachdem sie an der Luisenschule in Berlin-Mitte – an der sie seit 1929 eine Festanstellung hatte und „zuhause“ war – mit dem neuen Direktor Schwierigkeiten bekam wegen ihrer politischen Haltung.
Text 1
B Die Reaktion von Elisabeth Schmitz auf die Judenverfolgung im „Dritten Reich“,
die sich in vier Phasen gesteigert hat:
1. Phase: Ausgrenzung der Juden durch Boykott und Berufsverbote ab April 1933
* Nachdem im Frühjahr 1933 die mit Schmitz befreundete Ärztin Martha Kassel, eine getaufte Jüdin, ihre Stelle und Existenzgrundlage verliert, nimmt sie diese für 4 Jahre in ihrer 3-Zimmer-Wohnung am Robert-Koch-Platz auf. Schmitz wird deshalb 1937 vom Blockwart denunziert, jedoch kann die Schulbehörde eine Entlassung aus dem Schuldienst verhindern. Sie erlebt unmittelbar, was den Juden und Judenchristen aus ihrem KollegInnen- und Freundeskreis geschieht und denkt nicht daran, den Umgang mit ihnen aufzugeben.
* Um aber kirchenpolitisch wirken zu können, muss Schmitz Verbündete finden unter den Kirchenmännern. Von Karl Barth (1886-1968), dem Bonner Professor schweizerischer und reformierter Herkunft und seinerzeit bekanntesten Theologen in Deutschland, erhofft sie sich Unterstützung. So entsteht 1933/1934 ein intensiver Briefwechsel. Bereits in ihrem ersten Brief vom Ostermontag 1933 spricht sie von den „Folgen der Judenverfolgung“ und kritisiert die evangelische Kirche scharf.
Text 2a
Barth reagiert zurückhaltend.
In ihrem Neujahrsbrief 1934 hat sie bereits das ganze Ausmaß der Judenverfolgung im Blick und kritisiert auch die gerade entstehende BK:
Text 2b
Nur wenige Monate später wird im Mai 1934 die maßgeblich von Barth mitverfasste Barmer Theologische Erklärung verfasst. Die Ablehnung der Irrlehre des Antisemitismus fehlt.
2. Phase: Die Entrechtung der Juden durch die Nürnberger Rassegesetze September 1935
* Für die Septembersynode der Bekennenden Kirche der großen Altpreußischen Union (APU) 1935 verfasst Schmitz eine rund 20seitige Denkschrift (ergänzt 1936 mit einem Nachtrag zu den Folgen der „Nürnberger Gesetze“):
„Zur Lage der deutschen Nichtarier“. Zu ihrem Schutz hat Schmitz ihren Namen nicht darunter gesetzt. Es ist davon auszugehen, dass die Denkschrift nicht auf der Synode besprochen wurde, aber einigen Synodalen im Vorbereitungskreis vorlag.
Wie aus dem Titel hervorgeht, geht es Schmitz um alle rassisch verfolgten Juden, nicht nur um die Christen jüdischer Herkunft. In der Einleitung bezeichnet sie die staatliche Ariergesetzgebung als Verletzung der Gebote Gottes und widerspricht damit der gängigen lutherischen Auffassung, die die gesetzlichen Regelungen dem Staat überlassen will, ohne sich zu widersetzen. Die Mehrheit auf der Synode ist dieser Tradition verpflichtet und so kommt es nicht zu einem Wort zur Judenfrage, wie vom entschiedenen Flügel gefordert.
In der Denkschrift beschreibt und kommentiert Schmitz mit vielen Beispielen zur Judenverfolgung, die sie von überallher gesammelt hat, die innere und die äußere Not der jüdischen Mitmenschen. „Die Beispiele genügen, um zu zeigen, dass es keine Übertreibung ist, wenn von dem Versuch der Ausrottung des Judentums in Deutschland gesprochen wird.“ Und es geht um die Stellung der Kirche.
Text 3
Die Denkschrift mit Nachtrag wird von Schmitz eigenhändig für 200 Exemplare vervielfältigt, ebenfalls anonym. Schon der Besitz von Vervielfältigungsapparaten war verboten, ganz abgesehen vom Inhalt. Sie stellt die Denkschrift Einzelpersönlichkeiten und Gremien der BK in ganz Deutschland zu. Auch Bonhoeffer und der mittlerweile in die Schweiz ausgewiesene Barth, den Schmitz noch mehrmals vor dem Krieg in Basel besucht, haben eine erhalten.
So findet die Denkschrift einige Adressaten, auch wenn Schmitz ein anderes Ziel hatte, nämlich ihre Bekennende Kirche zum Widerstand gegen die Judenverfolgung aufzurütteln.
3. Phase: Ausstoßen der Juden ab der Reichspogromnacht November 1938
Unmittelbar nach dem 9. November reagiert Elisabeth Schmitz in dreifacher Weise:
* Sie erscheint am Tag darauf nicht mehr in der Schule und quittiert den Schuldienst:
„Ich beschloss, den Schuldienst aufzugeben und nicht länger Beamtin einer Regierung zu sein, die die Synagogen anstecken lässt.“
In ihrem Antrag auf Frühpensionierung heißt es mutig:
„Es ist mir in steigendem Maße zweifelhaft geworden, ob ich den Unterricht in meinen rein weltanschaulichen Fächern-Religion, Geschichte, Deutsch – so geben kann, wie ihn der nationalsozialistische Staat von mir fordert“.
Zwei zuständige Beamte der Schulbehörde geben dem Antrag statt und melden ihr Verhalten nicht weiter, sie erhält 60% des Gehalts als Pension.
* Sie nimmt noch vor dem Bußtag Mitte November Kontakt auf zu dem Dahlemer Pfarrer Helmut Gollwitzer (1908-1993). Nach dem Bußtagsgottesdienst bedankt sie sich in ihrem Brief vom 24.11. bei ihm und macht Vorschläge, wie die Kirche jetzt auf die jüdischen Menschen zugehen sollte:
Text 4
Dieser Brief ist nicht nur ein Zeugnis großer Solidarität mit den jüdischen Menschen, sondern zeigt auch eine Anerkennung des jüdischen Glaubens, wie sie sich erst Jahrzehnte später im jüdisch-christlichen Dialog durchsetzt. Ihre Forderungen werden nicht umgesetzt, es wird auch nicht Fürbitte für Juden und Jüdinnen gehalten, auch nicht in den täglichen Fürbittgottesdiensten der Bekennenden Gemeinde in Dahlem.
* Sie hilft Menschen jüdischer Herkunft:
Fortan engagiert sie sich ehrenamtlich in der Bekennenden Kirche mit Bibelarbeiten und Besuchsdienst und mit Taufunterricht für Juden und Jüdinnen, die zum Christentum übertreten wollen. Dazu muss sie in die als Judenwohnungen gekennzeichneten Häuser gehen, was verboten war.
Ende 1938 erwirbt Schmitz von dem jüdischen Arzt, der ihre langjährige Wohngenossin geheiratet hatte und mit ihr kurz vor der Emigration steht, das kleine Gartenhaus am Wandlitz-See. Es dient ebenso wie ihre Wohnung am Robert-Koch-Platz in Berlin-Mitte auch als Versteck für untergetauchte Juden.
4. Phase: Die Massenvernichtung der Juden im Osten ab dem Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1941
* Schmitz hat weiterhin Kontakt zu „nichtarischen“ Menschen, gibt Taufunterricht und engagiert sich persönlich für die Verfolgten.
Karl Mühlfelder, dessen jüdischer Vater ins Sammellager in die Rosenstraße gebracht worden war, schreibt 1999 aus den USA: Als sich seine Mutter zum Protest der 1000 Ehefrauen im März 1943 aufmachte, habe sie, so, besorgt um den allein in der Wohnung zurückbleibenden Sohn, zu ihm gesagt: „Geh du zu Frau Dr. Schmitz, die wird dich aufnehmen!“ Und das tat sie dann auch, für etliche Tage.
Und Liselotte Pereles, die aus einem Berliner Sammellager fliehen konnte und zeitweilig in Schmitz Wohnung untertaucht, schreibt nach dem Krieg:“ Als im Nov.43 die Wohnung von Frl. Dr. Schmitz durch Bomben zerstört wurde, hatte sie mir weiter geholfen und zwar oft mit Geld und Lebensmittelmarken.[…] [Sie]hat uns Flüchtlingen auch oft durch ihre Haltung geholfen, den Glauben an eine bessere Zukunft nicht zu verlieren.“
C Nachwirkung nach 1945:
Schmitz verfolgt interessiert die gesellschaftlichen Nachkriegsdebatten und nimmt aufmerksam die aktuelle Theologie und Kirche wahr. Den auf dem Kirchentag 1961 beginnenden jüdisch-christlichen Dialog hat Schmitz wohl registriert. Aber den 1978 mit dem Gedenken an die Reichspogromnacht verstärkt einsetzenden Umdenkprozess in der evangelischen Kirche in Deutschland hat sie nicht mehr erlebt.
Es ist nicht bekannt, dass Schmitz über ihr Verhalten im „Dritten Reich“ gesprochen hätte. Aber im schulischen Rahmen setzt sie sich mit der NS-Zeit auseinander und versucht, durch ihren Unterricht zur geistigen Erneuerung beizutragen.
In ihrer langen Schulansprache zum Gedenken an die Opfer des Faschismus und des Krieges von 1950 wendet sie sich gegen Schlussstrich-Forderungen und nennt als Ursache der Verirrung der Menschen im „Dritten Reich“:
„Wir haben den Menschen nicht mehr gesehen, am allerwenigsten im Juden“.
Text 5
Es bleibt noch die Frage: Wie kommt es, dass jahrzehntelang diese Denkschrift mit ihrer Verfasserin im Dunkeln blieb und auch lange von ihren Briefen nichts öffentlich wurde?
Warum haben diejenigen, die um ihre Denkschrift wussten, nichts gesagt, auch nicht, als diese einer anderen fälschlich zugeschrieben wurde. Und warum hat sie sich nicht selbst als Verfasserin dieser Denkschrift offenbart?
Dietgard Meyer, ihre ehemalige Schülerin und spätere Freundin, dazu:
„Kannte sie überhaupt die Veröffentlichung von Wilhelm Niemöller, auf dessen Behauptung der Verfasserschaft Marga Meusels die wissenschaftliche Diskussion bis heute basiert?
War Elisabeth Schmitz erneut enttäuscht über das auch nach 1945 andauernde Desinteresse der Kirche am Schicksal der Verfolgten?
Hatte sie einfach nicht mehr die psychische Kraft, die für sie so belastende Zeit durch historische Richtigstellungen wieder aufleben zu lassen?
Oder hielt sie ihr Handeln für so selbstverständlich, dass sie auf einen Einspruch in eigener Sache verzichtete?“
Ich denke, Schmitz frühe Erkenntnis über das Ausmaß der Judenverfolgung und ihre klaren und auch kirchenkritischen Worte waren auch in der Nachkriegszeit unbequem und kratzen an dem Bild von der Bekennenden Kirche und ihrer leitenden Personen, das nach 1945 gezeichnet wurde.
Erst seit der Jahrtausendwende erfährt das Leben und Wirken von Elisabeth Schmitz zunehmend Aufmerksamkeit und Würdigung.
Im November 2011 wird sie zudem von der Jerusalemer Holocaust-Gedenkstätte Yad Vaschem posthum als „Gerechte unter den Völkern“ ausgezeichnet, weil sie „jüdischen Menschen während des Holocaust unter Gefährdung ihres Lebens geholfen hat“.
Die Denkschrift von Elisabeth Schmitz ergibt zusammen mit den Briefen an Karl Barth und Helmut Gollwitzer, zusammen mit ihrer Entscheidung, den Schuldienst zu quittieren und ihrer Bereitschaft, jüdischen Menschen Asyl zu gewähren, das Bild einer außergewöhnlichen Persönlichkeit.
Fragen zum Austausch:
1. Welches Verhalten von Schmitz beeindruckt Sie – warum?
2. Wie beurteilt sie die nationalsozialistische Judenverfolgung?
3. Wenn das Verhalten von Schmitz entdeckt oder verraten worden wäre,
hätte ihr Haft oder Schlimmeres gedroht.
Haben Sie eine Idee, warum sie so gehandelt hat und woher sie die Kraft dazu nahm?
4. Warum ist es sinnvoll und aktuell, heute an Elisabeth Schmitz zu erinnern?
Anhang: Lesetexte 1-5
(zitiert nach Sibylle Biermann-Rau, Elisabeth Schmitz –
Wie sich die Protestantin für Juden einsetzte, als ihre Kirche schwieg, Hamburg 2017)
Text 1: Erinnerung der ehemaligen Schülerin Dietgard Meyer (aaO S.32f)
Schmitz war “leise auftretend, persönlich zurückgenommen, konzentriert auf den Unterrichtsstoff, sachlich und anspruchsvoll in ihren Anforderungen an uns. Und in ihrem „Outfit“ – ach, so schlicht und bescheiden: grauer Faltenrock und hochgeschlossene Bluse, meist mit einem „Seelenwärmer“, einer wollenen Weste, darüber; das Haar in der Mitte gescheitelt und mit einem Kamm hinten hochgesteckt. Alles ein wenig altertümlich und nicht dazu angetan, uns spontan für ihre Person zu begeistern. Dennoch ist es Elisabeth Schmitz gelungen, sich Anerkennung zu verschaffen. Ihre absolut lautlose Autorität machte uns sprachlos. Ihr ruhiges, bedächtiges Sprechen (im Goethe‘schen Frankfurterisch) zwang zum Hinhören. Ihre leise, aber dennoch bestimmte Art überzeugte. Dabei war sie menschlich nicht unnahbar. War irgendwo Unruhe in der Klasse, wartetet sie ab und schaute uns mit durchdringendem Blick stumm an, bis wieder Ruhe war. Diese Augen-Blicke waren gefürchtet. Die Klasse hatte Respekt vor ihr. Einige haben sie auch um ihres Unterrichts willen hochgeschätzt und verehrt. Abneigung oder Zuneigung erzeugte sie bei uns durch ihre erkennbare Ablehnung des Nationalsozialismus. Die zeigte sich schon bei ihrem Hineinkommen ins Klassenzimmer mit ihrem Hitlergruß. Der kam nicht forsch und mit stramm erhobenem Arm wie bei anderen Lehrern. Nein, sie machte nur eine verhuschte Handbewegung und ihr verhauchter Gruß war kaum vernehmbar“.
Text 2a: Brief an Karl Barth Ostermontag 1933 (aaO S.40f)
„Verzeihen Sie, dass ich als gänzlich Unbekannte an Sie schreibe. Aber es drängt mich dazu aus der tiefen Not der Zeit heraus. In meinem engsten Freundeskreis erlebe ich erschütternd schwer die Folgen der Judenverfolgung.
Die Flut von Undankbarkeit, Ungerechtigkeit, Hass, Lüge, Grausamkeit, die über unsere jüdischen und von Juden abstammenden Volksgenossen hereinbricht, scheint mir ein so furchtbarer Beweis der Sünde und Schuld der ‚christlichen‘ Seite, dass uns doch wohl noch in anderem Sinne als sonst Todesangst erfassen müsse vor dem Gericht Gottes.“
Schmitz kritisiert die Kirche scharf, kann deren Reaktionen nicht begreifen:
„Aber die Kirche feiert Siegesfeste, feiert Ostern in der Siegesstimmung, die augenblicklich durch unser deutsches Volk geht, wie es hier in einer Predigt hieß u. sicher in tausenden ähnlich geheißen hat. Sieht die Kirche nicht die Gefahr, die von den ‚deutschen Christen‘ u. der ‚Gleichschaltung mit dem Staate‘ droht?
Man hat mir gesagt, man befürchte eine neue Kirchenspaltung. Ich weiß nicht, ob das zu fürchten oder zu hoffen ist. Jedenfalls sind die lahmen, über u. über in Watte gepackten Äußerungen der evang. Kirchenbehörden nur dazu angetan, einen völlig verzweifeln zu lassen. […] Hätte die Kirche denn nicht wenigstens die elementare Pflicht, sich um ihre eigenen verfolgten Glieder zu kümmern? Und trägt sie nicht die Verantwortung andererseits für die Glieder, von denen all der Hass ausgeht?“
Dann wendet sie sich an Karl Barth direkt:
„Meine Frage […] geht dahin, ob nicht Sie als der Theologe, dessen Stimme in Deutschland am meisten gehört wird […] ob nicht Sie etwas dazu tun könnten, dass die Gewissen wach werden und erschrecken. Ich weiß nicht, ob es klug ist, im Augenblick an die breite Öffentlichkeit zu treten. Aber vielleicht wäre es möglich, wenigstens für die theologische Welt etwas zu sagen“.
Text 2b: Brief an Karl Barth Neujahr 1934 (aaO S.42f)
Schmitz hat das ganze Ausmaß der Judenverfolgung im Blick:
„Sollten die Gesetze, wie sie heute sind, längere Zeit bestehen bleiben, so würde das das glatte Todesurteil bedeuten für Hunderttausende von Menschen, vielleicht für Millionen. Könnten heute ‚nichtarische Verlustlisten‘ aufgestellt werden, so würden die Opfer dieser Verfolgung bereits auf viele Hunderte festgestellt werden müssen – durch Selbstmord u. Krankheit, auch einzelne durch Gewalttat“.
Außerdem deutet Schmitz, was in Deutschland geschieht, als Verstoß gegen das erste Gebot:
„Einem deutschen Studenten sagten schwedische Christen: ‚Deutschland hat einen Götzen: die Rasse – u. diesem Götzen bringen die Deutschen Menschenopfer‘.“
Schmitz ist kritisch – nicht nur gegenüber den nationalsozialistisch gesinnten Deutschen Christen, sondern auch gegenüber der innerkirchlichen Opposition, der gerade entstehenden Bekennenden Kirche:
„Zu alledem schweigt die Kirche. Ob sie überhaupt bemerkt, was vorgeht, ist nicht zu erkennen. Es sieht nicht so aus […] Solang die sogenannte Opposition nur immer Bücklinge vor dem Staat macht, wird es nicht anders […]Und wieso verstehen auf einmal so viele Theologen von Biologie u. Rassekunde mehr als alle Anthropologen? Die meisten Oppositionellen sind doch nur etwas zahmere deutsche Christen. […] Ich stehe dem kirchenpolitischen Kampf, der sicher nötig ist, nah genug, um seine Gefahr zu sehen. Er wird durch die Freude am Kampf bei vielen schließlich zum Selbstzweck. Er beruhigt auch die Gewissen – man kämpft ja gegen den Arierparagraphen (aber beileibe nur in der Kirche!) – u. macht die Menschen blind der Tatsache gegenüber, dass ebenso dringliche Aufgaben, ja die allerdringlichste vergessen wird. Wo hätte man ein Trostwort der Kirche an ihre verfolgten Glieder gehört, geschweige denn ein mitfühlendes Gedenken an die verfolgten – von Christen verfolgten – überhaupt? Was die Kirche am nötigsten braucht, ist weder ein neues Bekenntnis, noch die Verfassung, noch theologische Auseinandersetzungen über Volk u. Rasse, sondern die ganz einfache, schlichte, selbstverständliche christliche Liebe. Auf keinem Gebiet hat die Kirche u. die deutsche Christenheit so rettungslos versagt wie auf diesem“.
Text 3: Denkschrift „Zur Lage der deutschen Nichtarier“ 1935 mit Nachtrag 1936 (aaO S. 54,58ff,61)
„Im Namen von Blut und Rasse wird seit stark zwei Jahren die Atmosphäre in Deutschland unaufhörlich planmäßig vergiftet durch Hass, Lüge, Verleumdung, Schmähungen niedrigster Art in Reden, Aufrufen, Zeitschriften, Tagespresse, um die Menschen zu willigen Werkzeugen dieser Verfolgung zu machen.“ Schmitz fragt: „Sollte nicht auch uns das 8. Gebot gelten? Und sollte es nicht der Kirche aufgetragen sein, angesichts der unaufhörlichen Übertretung des Gebotes zu reden und nicht zu schweigen?“
Im Nachtrag schreibt sie u.a.:
„Tatsächlich geht der Kampf gegen die jüdischen Geschäfte unaufhörlich und mit allen Mitteln weiter[…]Aber ebenso klar ist, dass das deutsche Volk als Ganzes sich dadurch gegen das 7.Gebot versündigt.“
Und sie fragt eindringlich:
„Was soll man antworten auf all die verzweifelten, bitteren Fragen und Anklagen: Warum tut die Kirche nichts? Warum lässt sie das namenlose Unrecht geschehen? Wie kann sie immer wieder freudige Bekenntnisse zum nationalsozialistischen Staat ablegen, die doch politische Bekenntnisse sind und sich gegen das Leben eines Teiles ihrer eigenen Glieder richten? Warum schützt sie nicht wenigstens die Kinder […]?
Warum betet sie nicht für die, die dies unverschuldete Leid und die Verfolgung trifft?“
Schmitz fordert allerdings nicht nur christliche Solidarität mit den Opfern, sondern spricht auch offen von der Täterschaft der Christen in Deutschland:
„Menschlich geredet bleibt die Schuld, dass alles dies geschehen konnte vor den Augen der Christen, für alle Zeiten und vor allen Völkern und nicht zuletzt vor den eigenen künftigen Generationen auf den Christen Deutschlands liegen“.
Scharf kritisiert auch Schmitz die Bekennende Kirche:
„Dass es aber in der Bek. Kirche Menschen geben kann, die zu glauben wagen, sie seien berechtigt oder gar aufgerufen, dem Judentum in dem heutigen historischen Geschehen und dem von uns verschuldeten Leiden Gericht und Gnade Gottes zu verkündigen, ist eine Tatsache, angesichts deren uns eine kalte Angst ergreift. Seit wann hat der Übeltäter das Recht, seine Übeltat als den Willen Gottes auszugeben? Seit wann ist es etwas Anderes als Gotteslästerung, zu behaupten, es sei der Wille Gottes, dass wir Unrecht tun?“
Text 4: Brief an Helmut Gollwitzer 24.11.1938 (aaO, S. 81ff)
„Sehr geehrter Herr Pfarrer,
Bitte, erlauben Sie mir, dass ich Ihnen noch heute aus tiefstem Bedürfnis heraus für den Bußtagsgottesdienst danke. Es lässt sich wohl nicht mehr sagen als dies: dass man erfüllt war von dem Gefühl: So, und nur so kann und darf nach dem, was geschehen ist, eine christliche Gemeinde in Deutschland zusammen sein. Meiner Freundin, die vor der – im Augenblick unmöglich gemachten – Auswanderung steht, haben Ihre Worte herausgeholfen aus tiefer Bitterkeit und Verzweiflung über die Haltung der Kirche.[…]
Und nun? Es scheint, dass die Kirche auch dieses Mal, wo ja nun wirklich die Steine schreien, es der Einsicht und dem Mut des einzelnen Pfarrers überlässt, ob er etwa sagen will, und was. Aber was m. E. nun überall kommen muss, ist die Fürbitte.[…]
Ob wohl jemand auf den Gedanken gekommen ist, an Dr. Baeck [Reichsvertreter der deutschen Juden] zu schreiben im Namen der Kirche, oder an die jüdische Gemeinde, der man alle Gotteshäuser in Deutschland verbrannt oder in die Luft gesprengt hat, wobei man an manchen Orten Rabbiner gezwungen hat, zuzusehen. Wo sollen denn nun die Gemeinden Gottesdienst halten in dieser Notzeit?“
Schmitz erwartet, „dass die Kirche in jedem Fall strikt als Kirche handelt, ohne rechts und links zu sehen, ohne Taktik, ohne zu fragen: was wird daraus, allein nach ihrem Wesen und Auftrag, dass sie sich selbst ganz ernst nimmt“.
Am Ende des Briefes steht angesichts der drohenden Vernichtung der Juden der Satz: „Ich bin überzeugt, dass – sollte es dahin kommen – mit den letzten Juden auch das Christentum aus Deutschland verschwindet. Das kann ich nicht beweisen, aber ich glaube es“.
Text 5: Rede vom 7. September 1950 zum Gedenken an die Opfer des
Faschismus und des Krieges (aaO S.106ff)
„Wir dürfen das alles nicht vergessen um unser selbst willen. D. h. aber – und hier gehört das Wort hin, das so viele nicht hören wollen – wir müssen um unsere S c h u l d wissen.
Und wir müssen um das Vergangene wissen um der Zukunft willen. Wir müssen ja nach allem Zusammenbruch neu anfangen, einen neuen Anfang setzen, auch in der zerbrochenen Völkergemeinschaft. Wir müssen willig sein, mit den andern zu arbeiten, und das heißt a u c h: einander zu vergeben […]Dann aber müssen wir auch sicher sein, dass wir niemals wieder einer so unseligen Verirrung zum Opfer fallen wie in der Vergangenheit.
Wenn wir davor sicher sein wollen, dann aber müssen wir wissen, wo die Ursache der Verirrung lag […]
Wir haben den Menschen nicht mehr gesehen, am allerwenigsten im Juden. Und gerade bei diesem schlimmsten Punkt der Vergangenheit ist auch heute schon wieder die Gefahr im größten“.
Im Schlussteil fordert sie, den Einzelnen nie aus dem Blick zu verlieren:
„Wenn wir nun gefragt werden, was zu tun ist, so können wir antworten mit dem Motto, unter dem jetzt der ev. Kirchentag in Essen stand: Rettet den Menschen! […] Rettet den Menschen, das heißt vor allem: S e h t den Menschen! Sagt nicht immer: D i e Franzosen, d i e Polen, d i e Juden, d i e Arbeiter, d i e Kapitalisten. Lernt den Menschen kennen, den Einzelnen, auch den Fremden, ehrt ihn darin, dass ihr freundlich zu ihm seid, auch den Schwachen und Verachteten gegenüber.“